Englisch in Berlin – Geht es überhaupt noch ohne?

Read our English blogs here Eine Kreuzung in Berlin
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Berlin ist eine Weltstadt, Englisch ist Weltsprache. Ein gutes Match, könnte man meinen. Doch die immer deutlicher werdende linguistische Vormachtstellung des Englischen in Berlin bringt nicht nur Vorteile mit sich.

Ein Beitrag von Valentina, Nachwuchstexter*in in Berlin

Berlins Image ist das einer multikulturellen Metropole. Die deutsche Hauptstadt inszeniert sich in dieser Hinsicht so erfolgreich als Paradebeispiel, dass ihr internationales Image längst über nationalstaatliche Grenzen hinaus zu einer mehrheitlich anerkannten Tatsache avanciert ist. Aus diesem Blickwinkel überrascht es nicht, dass die englische Sprache in Berlin an allen Ecken und Enden zu hören ist. Die Verwendung von Englisch ist als Arbeitssprache in vielen Berliner Unternehmen sowie der Wissenschaft ebenso weit verbreitet wie in der Kulturszene, in Geschäften oder Neuköllner Cafés. Berlin lebt von der Einwanderung. Menschen aus aller Welt entscheiden sich fortwährend aus verschiedensten Gründen dazu, hier ein neues Zuhause zu suchen. Und da es sich beim Deutschen bekannterweise nicht um die einfachste Sprache handelt, kann die Möglichkeit, sich im Alltag auch auf Englisch verständigen zu können, viele Vorteile mit sich bringen. Doch gilt das auch wirklich für alle Berliner*innen?

Expat oder Immigrant*in? 

Über 778.000 Berliner*innen haben keinen deutschen Pass, das sind über 20 % der 3,8 Millionen Einwohner*innen. Diese Zahl umfasst Menschen aus vielen verschiedenen Ländern, die sich aus ebenso vielfältigen Gründen dazu entschieden haben, in der Hauptstadt ein neues Zuhause suchen. Flucht vor Krieg und politischer Verfolgung, Flucht vor Armut, eine neue Chance für die Karriere oder auch einfach der Wunsch nach einem Tapetenwechsel können Gründe für eine Zuwanderung darstellen. Zuwanderungsgründe und Sprache sind dabei nicht voneinander zu trennen: Menschen aus englisch- oder deutschsprachigen Ländern fliehen eher nicht vor Krieg oder Armut, und Menschen aus arabischsprachigen Kriegsgebieten kommen eher weniger nach Berlin, weil sie sich frischen Wind in ihrem Privatleben wünschen. Doch unabhängig von Herkunftsland und Migrationsursache sollten Status und Integrationsbedingungen für diese Menschen im Zielland die gleichen sein – von dieser Idealvorstellung ist die Realität in Deutschland jedoch weit entfernt.

Denn während Kunststudent*innen aus London ohne jegliche Deutschkenntnisse in einem Café jobben, an einer Berliner Universität studieren und Kunstausstellungen in ihrer Muttersprache besuchen können, wird syrischen Ärzt*innen trotz nachgewiesenem B1-Sprachlevel über Jahre hinweg keine Arbeitserlaubnis erteilt. Obwohl es sich bei beiden Personengruppen um „Ausländer*innen“ handelt, unterscheidet sich ihre Lebensrealität in Deutschland gravierend: Die einen werden Immigrant*innen genannt, deren Aufenthaltsstatus in direktem Zusammenhang zu obligatorisch erworbenen Deutschkenntnissen steht, die anderen heißen Expats – Deutsch ist für sie kein Muss, denn an ihrem Arbeitsplatz wird eh Englisch gesprochen.

Expat ist die Kurzform des Wortes „expatriate“, (ex „aus“, „heraus“ und patria „Vaterland“) und bezeichnet Menschen, die sich freiwillig und aus persönlichen Gründen heraus dazu entscheiden, ihr Heimatland – meist vorrübergehend – zu verlassen. Diese Menschen kommen aus wohlhabenden Industriestaaten wie den USA, Neuseeland und Australien, verfügen über einen hohen Bildungsstand und finanzielle Ressourcen. Die meisten von ihnen sprechen Englisch bereits als Muttersprache oder mindestens als sehr gut beherrschte Zweitsprache. Und genau diese Menschen sind es, die von der Verbreitung des Englischen in Berlin besonders profitieren.

Englisch als die Sprache der Gentrifizierung

Die politisch sowie wirtschaftlich motivierte Unterteilung von Zuwanderer*innen in Immigrant*innen und Expats zeigt sich darin, dass Englisch als selbstverständliche Verkehrssprache in Berlin akzeptiert wird, wohingegen dieses Selbstverständnis gegenüber anderen Fremdsprachen ausbleibt. Dabei spricht nur ein Bruchteil der ausländischen Menschen in Berlin Englisch als Muttersprache. Die meisten der knapp 800.000 Menschen mit Migrationshintergrund sprechen an erster Stelle Russisch, Türkisch, Arabisch, Kurdisch oder Polnisch, dann erst kommt Deutsch – häufig neben anderen Fremdsprachen. Englischkenntnisse stehen da nicht immer an erster Stelle. Durch die voranschreitende Gentrifizierung in Berlin werden diese Menschen nun immer häufiger in den Vierteln, die sie in vielen Fällen bereits seit mehreren Generationen bewohnen, mit Situationen konfrontiert, die einen sicheren Umgang mit dem Englischen erfordern.

Besonders Stadtviertel, die früher einmal als Arbeiter*innenviertel galten und die Heimat der vielen Gastarbeiter*innen darstellen, die in den 1960er Jahren vom deutschen Staat angeworben wurden, sind von diesen Entwicklungen betroffen. In Cafés, Bars und Kunstgalerien herrscht – geschrieben sowie gesprochen – das Englische. Die Autor*innen und Künstler*innen Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah stellen zu diesem Thema in ihrem Buch „Englisch in Berlin“ die Frage, wie sich die vermeintliche Integrationsleistung der englischen Sprache in diesem Kontext bewerten lassen kann, wenn kulturelle Veranstaltungen von einer Mehrheit der Nachbar*innen überhaupt nicht mehr besucht werden können, weil ihre Englischkenntnisse nicht ausreichen.

Lohnen sich Übersetzungen aus dem Englischen überhaupt noch?

Diese Frage ist mit einem klaren ja zu beantworten. Denn neben der in diesem Beitrag thematisierten Tatsache, dass viele Berliner*innen – Menschen mit Migrationshintergrund ebenso wie viele Deutsche – schlicht und einfach kein Englisch sprechen, ist ein Umdenken der gängigen Vorstellung davon, was „Internationalität“ bedeutet, besonders im linguistischen Kontext längst überfällig. Multikulturalität bedeutet nicht gleich, ausschließlich auf Englisch zu kommunizieren, ganz im Gegenteil. Zu einer vielfältigen Gesellschaft beitragen bedeutet auch, so viele der Barrieren wie möglich abzubauen, die Menschen von einer aktiven Teilnahme am sozialen und kulturellen Geschehen ausschließen. Und eine dieser Barrieren ist eben die Sprachbarriere. Wer mit seinen Beiträgen also wirklich alle Menschen erreichen möchte, sollte auf mehr Sprachen setzen als nur Englisch. Denn unter den möglichen Zielsprachen stehen in Berlin an erster Stelle Deutsch, Türkisch, Arabisch und Russisch. Was nicht bedeutet, dass das Englische von nun an seine Daseinsberechtigung einbüßen muss. Es sollte nur einfach nicht mehr das eine Rezept für alles sein.